Neurologie up2date 2021; 4(01): 23-45
DOI: 10.1055/a-1296-3389
Zerebrovaskuläre Erkrankungen

Neues beim Schlaganfall – Teil 1: Akuttherapie

Hans-Christoph Diener
,
Jens Fiehler
,
Karl Georg Häusler
,
Joji B. Kuramatsu
,
Waltraud Pfeilschifter
,
Jan Christoph Purrucker
,
Renate B. Schnabel
,
Jochen A. Sembill
,
Roland Veltkamp
,
Christian Weimar

Diese Übersichtsarbeit referiert aktuelle Studien zur Klinik und Therapie des Schlaganfalls. Die Autoren haben die wichtigsten Arbeiten aus den 4782 Publikationen im Zeitraum zwischen Herbst 2019 und Oktober 2020 ausgewählt. Die neuen Daten beschäftigen sich mit dem Zeitfenster für die Thrombolyse und der Organisation der Thrombektomie beim akuten Schlaganfall sowie der Frage, ob die Thrombektomie mit oder ohne zusätzliche Thrombolyse durchgeführt werden soll. Im 2. Teil des Beitrags wird dann die Schlaganfallprophylaxe dargestellt [1].

Fazit

Take Home Message

Bei Patienten mit akutem Schlaganfall und LVO (large Vessel Occlusion) der vorderen Zirkulation und „Mismatch“ zwischen kleinem Infarktkern und Penumbra (ausgewiesen durch das klinische Syndrom oder die Perfusionsbildgebung) sollte unabhängig vom Zeitfenster eine endovaskuläre Therapie erfolgen, da die Patienten sonst nur geringe Chancen auf ein unabhängiges funktionelles Outcome haben.

Fazit

Take Home Message

Das jeweils optimale Management von Thrombektomiekandidaten („Drip and ship“, „Mothership“, „Drip and Drive“) hängt sehr stark von den lokalen Gegebenheiten ab, die sogar über den Tagesverlauf mit der jeweiligen Verkehrslage variieren können.

Fazit

Take Home Message

Leitlinien und Positionspapiere empfehlen ein EKG-Monitoring nach ischämischem Schlaganfall oder TIA von kumulativ 72 h und ein verlängertes EKG-Monitoring bei ausgewählten Patienten, da randomisierte Studien eine konsekutiv erhöhte Antikoagulationsrate bei nachgewiesenem Vorhofflimmern belegen.

Eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch ein verlängertes EKG-Monitoring bei Schlaganfallpatienten ist bis dato nicht anhand einer randomisierten Studie nachgewiesen worden.

Da Vorhofflimmern häufig nur intermittierend auftritt und häufig zumindest initial klinisch asymptomatisch verläuft, ist davon auszugehen, dass bei ausschließlich stationärer und nicht bestmöglich standardisierter EKG-Ableitung ein nicht permanent bestehendes Vorhofflimmern bei einem relevanten Teil der Schlaganfallpatienten nicht detektiert wird.

Der Nachweis eines Vorhofflimmerns ist regelhaft auch für die medikamentöse Schlaganfallprävention von Patienten mit (mutmaßlich) nicht kardioembolisch bedingtem Schlaganfall relevant, sodass ein verlängertes EKG-Monitoring nicht per se auf Patienten mit kryptogenem Schlaganfall/ESUS ( = embolic Stroke of undetermined Source) beschränkt werden sollte.

Fazit

Take Home Message

Leitlinien und Positionspapiere empfehlen eine Echokardiografie bei ausgewählten Patienten nach ischämischem Schlaganfall oder TIA, auch wenn ein prognostischer Effekt einer kardialen Bildgebung für die Sekundärprävention bis dato nicht anhand einer randomisierten Studie unter Einschluss unselektierter Schlaganfallpatienten belegt ist.

Die kardiale CT und kardiale MRT stellen keine Standarduntersuchung nach ischämischem Schlaganfall oder TIA dar, sollten jedoch für spezifische Fragestellungen oder bei eingeschränkter echokardiografischer Beurteilbarkeit zur weiteren Abklärung erwogen werden.

Der echokardiografische Nachweis eines PFO ist aufgrund der vergleichsweise hohen Prävalenz in der Bevölkerung nicht per se mit einer gesicherten Schlaganfallursache gleichzusetzen.

Eine mittels kardialer Bildgebung (erstmals) nachgewiesene Herzinsuffizienz oder ein akutes/chronisches Koronarsyndrom sind für Schlaganfallpatienten von hoher prognostischer Relevanz.

Fazit

Take Home Message

In der Akutphase der ICB sollte eine aggressive, aber kontrollierte Blutdrucksenkung auf stabile Werte von 120 – 130 mmHg systolisch erfolgen. Starke Blutdruckschwankungen sollten vermieden werden.

Fazit

Take Home Message

Nach einem erneuten Schlaganfall muss eine gründliche Reevaluation des Schlaganfallmechanismus sowie das Aufdecken von Behandlungsfehlern oder einer mangelhaften Adhärenz erfolgen.

Fazit

Take Home Message

Trotz weiterhin begrenzter Evidenz liegen jetzt prospektive und kontrollierte Studiendaten vor, auf die beim Einsatz von NOAKs bei Patienten mit CVST nach der akuten Phase verwiesen werden kann.

Cave: Derzeit ist die Datenlage nicht ausreichend, um NOAKs (Faktor-Xa-Inhibitoren oder Thrombin-Inhibitoren) für die Behandlung von CVST-Patienten in der akuten Phase einzusetzen.

Kernaussagen
  • Das Vorliegen einer DWI-FLAIR-Signatur im MRT bei Schlaganfallpatienten mit unklarem Zeitpunkt des Symptombeginns ist ein zuverlässiger Marker für einen Schlaganfall im Thrombolysezeitfenster, und die intravenöse Thrombolyse (IVT) ist bei diesen Patienten sicher und wirksam.

  • Auch die erweiterte CT-Bildgebung mit Perfusion ermöglicht bei Vorliegen eines definierten Mismatch-Profils eine sichere und wirksame Behandlung von Patienten im unklaren oder erweiterten Zeitfenster. Besonders groß war der Nutzen bei Patienten, die mithilfe automatisierter „Mismatch“-Detektion untersucht wurden.

  • Bei Patienten mit akutem Schlaganfall und large Vessel Occlusion (LVO) der vorderen Zirkulation und „Mismatch“ zwischen kleinem Infarktkern und Penumbra (ausgewiesen durch das klinische Syndrom oder die Perfusionsbildgebung) sollte unabhängig vom Zeitfenster eine endovaskuläre Therapie erfolgen, da die Patienten sonst nur geringe Chancen auf ein unabhängiges funktionelles Outcome haben.

  • Das jeweils optimale Management von Thrombektomiekandidaten („Drip and ship“, „Mothership“, „Drip and Drive“) hängt sehr stark von den lokalen Gegebenheiten ab, die sogar über den Tagesverlauf mit der jeweiligen Straßenverkehrslage variieren können.

  • Aktuelle Studien erleichtern die klinische Entscheidung, auch einmal auf tPA zu verzichten, wenn dadurch die Zeit zur Thrombektomie verkürzt werden kann. Der endgültige Nachweis der Verzichtbarkeit ist aber nicht erbracht.

  • Bislang liegen noch keine Daten aus randomisierten Studien vor, die die Wirksamkeit der Thrombektomie im hinteren Stromgebiet eindeutig beweisen. Ein solcher Eingriff ist aber dennoch sehr ernsthaft in Betracht zu ziehen, insbesondere bei klinisch schwerer betroffenen Patienten.

  • Leitlinien und Positionspapiere empfehlen ein EKG-Monitoring nach ischämischem Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke (TIA) von kumulativ 72 Stunden und ein verlängertes EKG-Monitoring bei ausgewählten Patienten, da randomisierte Studien eine konsekutiv erhöhte Antikoagulationsrate bei nachgewiesenem Vorhofflimmern belegen.

  • Eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch ein verlängertes EKG-Monitoring bei Schlaganfallpatienten ist bis dato nicht anhand einer randomisierten Studie belegt.

  • Leitlinien und Positionspapiere empfehlen eine Echokardiografie bei ausgewählten Patienten nach ischämischem Schlaganfall oder TIA, auch wenn ein prognostischer Effekt einer kardialen Bildgebung für die Sekundärprävention bis dato nicht anhand einer randomisierten Studie unter Einschluss unselektierter Schlaganfallpatienten belegt ist.

  • Die kardiale CT und kardiale MRT stellen keine Standarduntersuchung nach ischämischem Schlaganfall oder TIA dar, sollten jedoch für spezifische Fragestellungen oder bei eingeschränkter echokardiografischer Beurteilbarkeit zur weiteren Abklärung erwogen werden.

  • Die Lokalisation der Mikroblutungen spiegeln die Ätiologie wider; streng lobäres Auftreten von Mikroblutungen spricht für eine zerebrale Amyloidangiopathie (CAA).

  • Das Risiko einer Rezidivblutung steigt nach lobärer ICB mit der Anzahl der Mikroblutungen sowie dem Vorliegen einer superfiziellen Siderose oder den Apolipoprotein-E-Genotypen ε2 /ε4 an.

  • Um das Rezidivrisiko nach einer ICB zu minimieren, ist neben einer konsequenten Blutdruckeinstellung die individuelle Nutzen/Risiko-Abwägung hinsichtlich oraler Antikoagulanzien entscheidend.

  • In der Akutphase der ICB sollte eine aggressive, aber kontrollierte Blutdrucksenkung auf stabile Werte von 120 – 130 mmHg systolisch erfolgen

  • NOAKs stellen aufgrund Ihrer Effektivität und Sicherheit und wegen des verbesserten Patientenkomforts die Erstlinientherapie für die Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern dar.

  • Bei der Auswahl eines NOAK sollte ein strukturiertes Gespräch mit einer Checkliste geführt und die Patientenpräferenz ausgelotet werden.

  • Nach einem erneuten Schlaganfall müssen eine gründliche Reevaluation des Schlaganfallmechanismus sowie das Aufdecken von Behandlungsfehlern oder einer mangelhaften Adhärenz erfolgen.

  • Der frühe Beginn eines NOAK nach einem Schlaganfall ist sinnvoll und erscheint sicher. Da es sich aber um eine Off-Label-Verschreibung handelt, sollte besonders sorgfältig dokumentiert werden.

  • Die Verhinderung des durch die Gerinnungshemmer verstärkten Hämatomwachstums ist ein pathophysiologisch plausibles Therapieziel bei NOAK-assoziierten Hirnblutungen.

  • Die Zulassung von Idarucizumab umfasst die notfallmäßige Aufhebung der Gerinnungshemmung sowohl bei dringenden Prozeduren wie der medikamentösen Thrombolyse als auch bei schweren Blutungen.

  • Bei den mit Faktor-Xa-Inhibitoren assoziierten intrakraniellen Blutungen wird eine rasche Antagonisierung des NOAK des zu erwartenden verstärkten Weiterblutungsrisikos mit Andexanet alfa empfohlen.

  • Zum jetzigen Zeitpunkt sollte eine interventionelle Behandlung der zerebralen Sinus-/Venenthrombose (CVST) nur in Einzelfällen und in spezialisierten Zentren erfolgen, wenn es unter einer suffizienten Antikoagulation (und nach Ausschluss anderer Komplikationen wie beispielsweise epileptischen Anfällen oder Infektionen) zu einer progredienten Verschlechterung kommt.

  • Trotz weiterhin begrenzter Evidenz liegen jetzt prospektive und kontrollierte Studiendaten vor, auf die beim Einsatz von NOAKs bei Patienten mit CVST nach der akuten Phase verwiesen werden kann.



Publication History

Article published online:
26 February 2021

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